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Klimawandel: Verspätete Kühle

Emissionen, die heute reduziert werden, zeigen erst Mitte des Jahrhunderts Wirkung

Ein Großteil der internationalen Anstrengungen, den Klimawandel zu bekämpfen, haben sich darauf konzentriert, die Emissionen von Stoffen, die zur Erderwärmung beitragen, zu reduzieren, und hier vor allem Kohlendioxid. Das ist natürlich eine rationale Vorgehensweise. Die weltweite Durchschnittstemperatur liegt heute etwa 1,1°C über der in vorindustrieller Zeit, und CO2 ist der Hauptschuldige. Dieser Stoff, und andere Klimagase entstehen, wenn fossile Treibstoffe verbrannt werden, um Energie zu erzeugen, Maschinen zu betreiben, Stahl und Zement herzustellen, in der Landwirtschaft und durch Abholzung von Wäldern. Langfristig ist die Vermeidung dieser Emissionen die einzige nachhaltige Lösung, um die ansonsten unaufhaltsame Erwärmung der Erde aufzuhalten.

Aber die Emissionen dieser Klimagase führen nicht sofort zu einem Anstieg globaler Temperaturen, und deren Reduzierung führt auch nicht zu sofortiger Abkühlung. Stattdessen dauert es Jahrzehnte, bis die Bemühungen der Politik von heute zu messbaren Auswirkungen auf die globale Temperatur führen – wie es eine Studie beschreit, die in dieser Woche in Nature Communications veröffentlicht wurde.

https://doi.org/10.1038/s41467-020-17001-1

Unter Verwendung von Klimamodellen untersuchten Björn Samset und seine Kollegen am Norwegischen Zentrum für Internationale Klimaforschung hypothetische Zukunftsszenarien, bei denen die Emissionen von neun unterschiedlichen industriellen Verschmutzern, einschließlich Kohlendioxid und Methan, entweder sofort gestoppt oder mit einer Rate von 5% pro Jahr gegen Null reduziert wurden, angefangen im Jahr 2020. Um die jeweiligen Effekte isoliert zu betrachten, wurde jede Chemikalie einzeln entfernt, während die anderen sich weiterentwickeln, wie sie es grob tun würden, wenn sich die Regierungen an ihre derzeitigen Klimaselbstverpflichtungen halten. Das Experiment hat also untersucht, wie schnell zusätzliche Bemühungen, wie sie von der Pariser Klimavereinbarung eingefordert werden, sich bei der Geschwindigkeit der Erderwärmung bemerkbar machen würden.

Diese Simulationen wurden vielfach wiederholt, um statistisch relevante Ergebnisse zu erhalten. Das führt dazu, daß eine Reduzierung von CO2-Emissionen die Erderwärmung schon ab 2033 abmildern könnte, aber nur, wenn sie weltweit im Jahr 2020 beendet würden. Das würde letztlich eine Abschaffung von 80% der Energiequellen weltweit bedeuten, einschließlich der Schließung aller mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerke, über Nacht – was eindeutig kein realistisches oder wünschenswertes Szenario ist.

Die Verminderung von CO2 mit 5% pro Jahr, angefangen dieses Jahr, würde eine statistisch signifikante Abweichung von den Temperaturen, die sonst aufgetreten wären, erst ab dem Jahr 2044 bewirken. Auch dieses Tempo der CO2-Reduzierung ist jedoch eine Herausforderung, etwa gleichartig der Reduzierung um 4-7%, die für dieses Jahr aufgrund der Covid-19 Pandemie und verbreiteter wirtschaftlicher Schließungen geschätzt wird. Vor diesem Ereignis stiegen die jährlichen Emissionen stets an. Ohne gemeinsame Bemühungen der Regierungen werden sie wahrscheinlich wieder ansteigen, wenn die Wirtschaft der verschiedenen Länder wieder anspringt.

Ein Grund für die verspäteten Auswirkungen der Reduzierung von Emissionen ist die natürlich Wechselhaftigkeit des Klimas. Ob es in einem Jahr wärmer oder kälter als im Vorjahr ist, liegt nicht nur an den Klimagasen. Große natürliche Klimaeffekte spielen auch eine Rolle (El Niño und La Niña sind wohl die bekanntesten Beispiele), welche die Erde zyklisch um einige Zehntel Grad erwärmen oder abkühlen. Abhängig von deren Phase wird die durch Klimagase bewirkte Erwärmung durch diese natürlichen Effekte entweder verdeckt oder verstärkt. Während die Emissionen anfangen, zurückzugehen, wird die natürliche Variabilität die daraus resultierende Verringerung der Erderwärmung ebenfalls verdecken. Die Modelle von Dr Samset haben das berücksichtigt.

Außerdem ist über 90% der Energie, die durch die Emission von Klimagasen im letzten halben Jahrhundert auf der Erde zurückgehalten wurde, im Meer aufbewahrt und wird nur langsam als Wärme in die Atmosphäre entlassen. Selbst wenn alle Emissionen morgen beendet würden, führt dieser Prozess noch jahrelang zu einer Erwärmung der darüberliegenden Luft.

Der Hauptgrund für die Verzögerung ist jedoch, daß das heute emittierte Kohlendioxid Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte in der Atmosphäre bleiben wird, bevor es von Pflanzen oder den Weltmeeren wieder absorbiert wird. Das gilt nicht für andere Emissionen der Industrie. Jedes Molekül Methan erwärmt die Erde 84 bis 87 mal so viel, im Durchschnitt von 20 Jahren, wie Kohlendioxid, aber es bleibt nur einige Jahre vorhanden, nicht für viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte. Das hat dazu geführt, daß Rufe nach einer sofortigen Aktion zur Beendigung von Methanemissionen laut wurden, etwa durch die Reparatur von undichten Gasleitungen, und die Reduzierung von Emissionen durch die Landwirtschaft. Aber selbst dann legt die Arbeit von Dr Samset nahe, daß die Vermeidung aller Quellen der Verschmutzung durch Methan im Jahr 2020 die Trends zur Erderwärmung nicht vor 2039 beeinflussen würden.

Den Druck hochhalten
Es ist tragisch, daß ein Verschmutzer, der am ehesten einen direkten Einfluß haben könnte, einer ist, der die Welt derzeit kühlt. Schwefeloxide sind ein Nebenprodukt der Verbrennung einiger fossiler Brennstoffe, wie etwa Kohle und schmutzigem gelagertem Treibstoff, und es gibt Bemühungen, sie zu vermeiden, indem die Emissionen der Schiffahrt und städtischer Luftverschmutzung angegangen werden. In der Atmosphäre reflektieren sie einen Teil der Sonnenstrahlen zurück in den Weltraum, was eine kühlende Wirkung hat. Weil sie durch den Regen innerhalb weniger Tage nach ihrer Emission wieder zurück auf die Erde gelangen, könnte ihre Vermeidung die Erwärmung zum Ende dieses Jahrzehnts erhöhen.

Trotz alledem ist die Verringerung von Emissionen unabdingbar, wenn das Weltklima stabil bleiben soll und die einzige Möglichkeit, die Ziele der Pariser Vereinbarung, die Erderwärmung auf 1,5 – 2°C zu begrenzen, zu erreichen. Aber Dr Samset ist der Meinung, daß die Temperatur nicht die beste Messlatte sein könnte, um die Effektivität von klimawirksamen Aktionen zu erfassen, zumindest nicht bis zu den 2040er Jahren. Stattdessen könnte eine direkte Messung der Konzentration klimawirksamer Gase in der Atmosphäre besser sein, da dieses den verwirrenden Einfluß natürlicher Variabilität entfernt. Und ohne eine kluge Vermittlung könnte es einen öffentlichen Aufschrei gegen scheinbar unwirksame Politik geben.

Es ist jedoch grundlegend, daß solche Forschungsergebnisse betonen, trotz der beginnenden Dekarbonisierung der Länder der Welt, die Regierungen und die Gesellschaften ihre Bemühungen, sich an die unabwendbare kommende Erwärmung anzupassen, drastisch verstärken müssen.

Quelle: The Economist, London. 11. Juli 2020. Eigene Übersetzung ins Deutsche

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